Donnerstag, 22. Mai 2008

Das verlorene Gedächtnis

Mathildes Briefe

Mathilde ist oft einsam, denn sie lebt in einem Heim. Die vielen Menschen um sie herum, können ihr auch nicht helfen sich hier wohler zu fühlen. Mathilde weiß noch, dass sie mal ein richtiges, echtes zu Hause hatte. Es war schön da. Immer war jemand da gewesen. Alle waren immer so freundlich und hatten sich ganz normal mit Mathilde unterhalten oder sie auch einfach mal umarmt.
Hier ist das ganz anders. Die Leute, die hier Arbeiten, behandeln Mathilde immer wie ein kleines Kind. Dabei ist sie das schon lange nicht mehr. Ab und zu kommt eine nette Schwester zu ihr, manchmal sogar noch nachdem ihre Schicht schon vorbei ist. Denn während dessen, ist nie genug Zeit um sich einmal von Mensch zu Mensch zu begegnen. Nicht alle Schwestern sind nett, aber viele geben sich Mühe. Doch die Schwestern kümmern sich nicht nur um Mathilde, es wohnen noch viele andere in dem Heim. Deswegen haben die Schwestern für keinen von ihnen wirklich Zeit. Einfach um mal ein bisschen zu reden, sich zu unterhalten.
Wenn ein Tag einmal besonders traurig und vor allem einsam für Mathilde war, stellt sie sich immer vor, was die anderen Wohl über sie denken. Sie kommt immer wieder auf das eine: „Die denken bestimmt ich bin dumm.“ Und dann ist sie noch trauriger.
Mathilde weiß, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Sie versteht es nicht ganz, aber sie weiß, dass etwas in ihrem Kopf nicht so funktioniert wie es soll…. Doch sie ist nicht dumm! Sie kann sich noch ganz genau an all‘ die schönen Lieder erinnern, die sie damals in der Schule gelernt haben. Mathilde singt auch jetzt noch sehr gern. Doch die Schwestern sagen ihr oft, sie soll nicht singen, weil sie dann die anderen stört. Manche sagen dann aber auch nur: „Kommen Sie Frau Heidenreich, wir gehen nach draußen, in den Garten. Da können Sie mit den Vögeln singen.“ Dann ist Mathilde sehr glücklich.
Mathilde schreibt Briefe…, Briefe an niemanden. Sie weiß nicht, an wen genau sie schreibt, doch sie ist sich sicher, dass derjenige, der es lesen soll, es bestimmt auch lesen wird. Mathilde war immer ein sehr ordentlicher Mensch. Auf jeden Brief schreibt sie fein säuberlich ihren Namen, das Datum und den Ort.
In ihren Briefen erzählt sie anfangs noch von früher. Von der Zeit als sie ihren Mann kennenlernte, wie sie ihre Töchter großzog und von all‘ den schönen Erinnerungen. Manchmal steht in ihren Briefen auch, wie ihr Mann vor fünfzehn Jahren starb. Wie sie daraufhin sehr lange, sehr traurig war. Wie traurig sie jetzt noch ist, über den Tod ihres Mannes und dass ihre Töchter sie nur ganz selten besuchen kommen. Wenn sie solche Briefe schreibt ist Mathilde immer sehr traurig.

Mathilde ist krank geworden. Sie kann nicht mehr aus dem Bett. Jetzt machen die Schwestern alles für sie. Doch Mathilde ist traurig, sie kann nicht mehr in den Garten. Sie schreibt jetzt öfter Briefe. Manchmal weiß sie nicht welcher Tag gerade ist, oder wie spät es ist. Das lässt sie dann einfach weg.
In ihren Briefen bittet sie oft um Hilfe. Durch das viele Liegen tut ihr der Rücken immer so weh. Sie glaubt auch, dass sie ihre Fotos verloren hat. Die Fotos von früher, mit den vielen netten Menschen drauf. Sie weiß, dass sie sie irgendwo hatte. Doch sie sind verloren gegangen. Das macht Mathilde traurig, denn ohne sie ist sie einsam.
Mathilde ist nun schon lange krank. Der böse Mann mit der Brille und den weißen Sachen hat befohlen, dass sie im Bett bleiben muss. Mathilde mag diesen Mann überhaupt nicht. Er gibt ihr immer seltsame Sachen zu essen und sticht sie immer mit einer Nadel.
Mathilde hat jetzt nur noch ihre Briefe. Doch sie kann auch nicht mehr viel schreiben. Ihre Hände tun ihr immer so weh. Das macht Mathilde sehr traurig. Sie hat keinen Appetit mehr. Das Essen macht ihr schon lange keine Freude mehr.
Mathildes Briefe sind jetzt nicht mehr so Ordentlich. Sie hat etwas verloren. „Bitte helfen Sie mir, ich habe mein Gedächtnis verloren!“ Auf den Briefen sind jetzt immer ganz viele Fragezeichen- sonst nichts!. Sie hat alles vergessen- ihren Mann, ihre Töchter, alles...
Sie kann jetzt nicht mehr schreiben. Ihre Hände sind steif, sie kann keinen Stift mehr halten. Sie weint jetzt oft. Doch ihre Tränen sieht niemand. Sie ist allein. Sie weiß nicht wo. Sie weiß nicht warum. Sie ist allein.

Erklärung:
Mathilde ist eine hochaltrige Bewohnerin eines Pflegeheimes für Demenzkranke. Am Anfang hat sie nur eine leichte Demenz, die langsam fortschreitet. Doch als sie krank wird und ihr jegliche Motivation fehlt, wird es immer schlimmer. Am Ende hat Mathilde ihren Mann, ihre Kinder, ja sogar den eigenen Namen vergessen. Sie ist bettlegerisch und ein rund-um Pflegefall.
Ich habe nur durch die engagierte Mitarbeit einer jungen Sozialpädagogin einen derartigen Brief einer an Demenz erkrankten Bewohnerin eines Pflegeheimes in die Hände bekommen. Dieser Brief, mit seinem direkten Hilferufen „Bitte helfen Sie mir!!!“ hat mich tief bewegt, so sehr, dass mir die Hände zitterten als ich ihn in der Hand hielt.

Donnerstag, 1. Mai 2008

vertikale mindmap (KEIN! gedicht!)

Walpurgisnacht

Ein anruf, ein wort:
tot.
verlust. schmerz. zeit. leere, dauer, nichtstun, verdammte untätigkeit!
Eine reise, erwartungen, verwirrung. Vertraute gesichter, anteilnahme, wohlsein.
Drei schritte, eine ahnung, ein blick,ein schrei, eine wichtige umarmung, eine lawine von gefühlen.
Ein gelockerter knoten, pure freude, tränen
lange erwartete tränen
Worte wie gedanken
Einheitlich, aufmerksam, innig, liebevoll
Annäherung an die vollständigkeit

Eine sich öffnende tür, schritte in die stille
Trauer, klarheit
Andacht, respekt, würde

Wiedervereinigung
Jagd nach dem vergangenen
Genuss des präsens
Verbesserung
Intensität durch rarität

Zu hause!!!