Die beiden Jungkater Tiger und Tüpfel waren noch nicht lange bei ihrer Familie und gerade dem immer-spielen-und-dann-umfallen-und-schlafen-Alter entwachsen, da entdeckten sie, dass sie und Zwolfenstein nicht allein waren.
Tüpfel war bei der Erkundung eines Bücherregals auf ein seltsames Gebilde gestoßen. Eigentlich suchte er ja nur nach einem netten Paltz zum Schlafen, von dem aus er die ganze Wohnung überblicken konnte. Doch als er gerade versuchte die Lücke zwischen zwei Bückern durch Drängeln zu vergrößern erschreckte ihn etwas wie ein Fauchen. Tüpfel erschrak so sehr, dass er vor Schreck in die Luft sprang und beim Landen das Regal verfehlte. Potz-per-Dautz stürmte er aus dem Raum.
Tiger fraß grade als er seinen Bruder im Affenzahn vorbeirauschen sah. Er ging nachsehen. Tüpfel hatte sich in einen Karton verkrochen, in dem gestern Pfotenhüllen für die Chefin gekommen waren. Tiger setzte sich davor und wartete. Er musste allerdings nicht lange warten, alles an seinem Bruder schrie förmlich:"Schreck-und-Absturz"- Nichts so ungewöhnliches wenn man ein Kater ist.
Als Tüpfel sich wieder beruhigt hatte, gingen er und Tiger gemeinsam zu dem Bücherregal um sich die Sache genauer anzusehen: dort oben, auf dem dritten Brett, ganz am Rand und drei Pfoten voll Bücher von Tüpfels Schlaflücke entfernt, saß er.
Er war keine Katze, und kein Vogel und auch auch keine Maus. Er war ungefähr so groß wie eine Katze. Er saß, hatte den Schwanz in Katermanier um die Pfoten gewickelt. Er hatte kein Fell und seine Pfoten waren größer als die Tiger und Tüpfel. Die beiden spitzten ihre Katerohren: kein Laut gin von ihm aus, nicht einmal etwas wie atmen.
Tüpfel blickte zur Seite um seinem Bruder einen fragenden Blick zuzuwerfen, doch was er sah, ließ ihn gleich nochmal vor Schreck in die Luft springen. Tiger ging es nicht anders, als er bemerkte, wer sich da zu ihnen gesellt hatte: ein vier-Beine-Flügel-hart-und-kalt.
Normalerweise sitzt der, der die beiden Kater jetzt ansah, gleich neben der Garderobe und bewegt sich nicht ein bisschen.
"Hausgeister sollte man nicht ärgern!" sagte das Wesen. Tiger und Tüpfel verkrochen sich sicherheitshalber unter das Schuhregal und machten sich ganz flach.
"Dein Freund hier hätte Balduin vorhin fast heruntergeworfen. Deswegen hat er dich gewant" erklärte das Wesen erst Tiger und dann Tüpfel indem es langsam auf die beiden zukam. Sein Gang war etwas tapsiger, als der einer Katze. Katzen sind aber auch nicht aus Stein.
"Ihr könnt froh sein, dass Baltazar nicht dort saß. Der hätte sich nicht nur aufs Warnen beschränkt. Ich bin übrigens Hugo."
Jetzt legte Tiger die Ohren an. Das ging ihm zu weit. Der Steinklotz war viel zu nah. Tiger stellte seine Nackenhaare auf und ein leises knurren rumpelte bereits in seiner Kehle, da setzte sich Stein-Hugo vor die beiden ängslichen Katerkinder hin.
"Ihr braucht keine Angst haben. wir sind Hausgeister. Am Anfang waren wir nichts als Stein in einer Form, die die Menschen als 'Drachen' bezeichnen. Zumindest Balduin, Baltazar und ich. Graógramán ist ein Abbild eines Löwen. Wir alle wurden hierher gebracht von euren Menschen. Sie glauben, dass wir diese Wohnung und ihre Bewohner schützen und weil sie das glauben, ist es auch so. Ihr und der graue Rätselsprecher gehört zu den Bewohnern dieser Wohnung, deswegen braucht ihr eigentlich keine Angst vor uns haben- wir schlafen sowieso fast die gesamte Zeit. Nur lassen wir uns nicht gern aus Regalen werfen."
Und mit einem Zwinkern an Tiger und Tüpfel erhob sich Hugo wieder und ging aus dem Raum. Unsere Jungkater brauchten eine Weile, bis sie sich von dem Schrecken erholt hatten. Als sie so weit waren gingen sie zu Zwölfenstein. Der vorlaute Vogel erzählte ihnen sonst immer Geschichten, dieses eine Mal waren sie sich sicher, dass es andersherum sein würde.
Im Wohnzimmer angekommen setzten sich die zwei Kater vor den Käfig des Vogels und beobachteten ihn, wie er im Sand am Boden nach Resten suchte. Zwölfenstein ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Als er mit dem Schnabel in einem besonders großen Sandhaufen wühlte, begann er gedämpft von dem Sand, ein kleines Spottlied:
halb Diesseits
halb Jenseits
und schläft den ganzen Tag
das eine lebt
das and're spricht
und sind doch eine Art
Mehr war dem schrulligen Vogel nicht zu entlocken